Das Podium ist voll mit afrikanischen Instrumenten, denn der Jazzposaunist Johannes Lauer, der auch eine Dozentur an der Musikhochschule in Leipzig hat, spielt die Premiere seiner jüngsten musikalischen Begegnung in dem Ort, in dem er einen Teil seiner Jugend verbrachte. Lauer lebt seit zehn Jahren in Berlin, die ideale Stadt für einen so offenen, suchenden Musiker wie ihn, musikalische Partner aus anderen Kulturen zu finden. Was ihm in vielen Projekten bereits faszinierend gelang. Im jüngsten ist es Moussa Coulibaly aus Burkina-Faso, mit dem er – man mag sich kaum vorzustellen, wie – neben seiner Posaune eine Bühne voll „Afrika“ im Zug von Berlin in die Alte Kirche nach Mochenwangen transportierte.
Lauer spielt den ersten Teil solo und wird eine erhellende Verbindung zum zweiten Teil. Unter anderem auch ein paar Kompositionen von Musikern, die zu seinen Vorbildern zählen – Kid Ory oder Albert Mangelsdorff. Doch er spielt keine Standards nach, er horcht in sich hinein, es sind Erinnerungen, Einflüsse, die er in berührender Intimität vor dem Publikum mit eigenen Klangfarben und Retouchen zusammenfließen lässt.
Es sind die Geschichten der anderen, die Teil der eigenen geworden sind und die er erzählt. Es sind die Stimmen aus anderen Kulturen, die er, hochsensibel, uns mit seinem Atem, seinen Händen, an seiner Posaune, erzählt, in den „folas secas“, den trockenen Blättern aus Brasilien, zum Beispiel.
Was Lauer in seinem ersten Teil zeigt, ist seine Fähigkeit, aus seiner musikalischen Sozialisation – einer primär ja europäischen, einer „weißen“ – auszubrechen, in anderen Musikkulturen zuzuhören, völlig andere Formen und Strukturen zu entdecken, ohne sie mit einem eurozentrischen Kanon zu werten. Dies genau, mit Verachtung, mit Begriffen wie „primitiv“, „unterentwickelt“, hat Europa mehrheitlich in den Kontinenten seiner Eroberungen getan. Nur eine Minderheit der Reisenden fand nicht den „Neger“, sondern großartige Kulturen – Alexander von Humboldt etwa oder Kirchner und Gauguin.
In dieser Tradition nähert sich Johannes Lauer dem „Fremden“ an – im schwarzen wie im europäischen Jazz, den afro-brasilianischen Musiken, den Musikkulturen Westafrikas – im neuen Projekt der Burkina-Fasos. Eines der ärmsten (arm gemachten) Länder Afrikas, wo vor Lauer der allzu früh verstorbene Christoph Schliengensief seine Vision eines afrikanischen Operndorfes in Ansätzen verwirklichen und weitergeben konnte. Die ganz anderen und einzig hoffnungsvollen Kulturbegegnungen mit dem geschundenen Kontinent. Johannes Lauer ist Teil davon.
Moussa Coulibaly verzaubert mit fliegender Eleganz an den Saiten der Ngoni und auf dem Ballafon. Coulibaly erzählt mit seiner herrlich schrillen Stimme die Geschichten der in Westafrika hoch angesehenen Griots von Liebe und Leid und der Kraft der dörflichen Gemeinschaften. Lauer spielt auf der Posaune, zart, einfühlsam, den bewundernden Kommentar, das Grummeln und Brummeln der afrikanischen Zuhörer. Ein Dialog auf gleicher Augenhöhe. Kein ethno-verklärtes Africa light, sondern musikalische Gespräche, in denen beide authentisch bleiben.
In Moussas Musik spricht die Erde, denn seine Instrumente sind aus Holz und Kürbisfrüchten gebaut, die Landkultur und Musikkultur miteinander verbinden. Die Erde, mit der die Kleinbauern über Jahrhunderte so hart gerungen haben, die Leben bedeutete, Gemeinschaft und erst durch die kolonialen Exportprodukte zum Überleben nicht reicht, weshalb die Jungen fliehen. Dieses starke, reiche Afrika wollte der ermordete, visionäre Präsident Thomas Sankara in seinem Land wiederbeleben. Dieses Afrika hörte man voller Würde und Respekt in der voll besetzten Alten Kirche vor begeistertem Publikum.
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 16.11.2018 (Wolfram Frommlet)